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Trockener als ein Haartrockner
Patrick Bonato: „Das bunte Buch
verhaltensgestörter Tiere“
Von Daniel Ableev
Wie
trocken kann trockener Humor eigentlich werden? Diese Frage beantwortet
möglicherweise Patrick Bonatos eigenartig ernsthaftes Bilderbuch … Fünf
Tiere mit Verhaltensauffälligkeiten werden vorgestellt: Die Schildkröte
Morli zum Beispiel geht munter ihrem Geschlechtstrieb nach, indem sie
Wok, Fahrradhelm, Huhn etc. ein wenig vergewaltigt. Der Chow-Chow Ajax
ist nicht nur rassig, sondern auch rassistisch veranlagt und wird
aggressiv, sobald er Vollbärte oder Kopftücher wahrnimmt. Und das Pferd
Cooper koppt viel zu gern – typisch Gaul! Beim Betrachten der
liebevollen Zeichnungen sowie erklärenden Begleittexte samt
Therapieempfehlungen stellt sich nicht selten die Frage, ob das alles
überhaupt als subtiles Augenzwinkern durchgeht, oder ob es sich hier
eher um ein künstlerisch aufbereitetes Fällebuch für angehende
Veterinäre handelt. Ein wirklich seltsames Buch angesichts der
Schwierigkeit der Zuordnung. Sollte dies jedenfalls Humor sein, so
gehört er zum beherrschtesten und zurückgenommensten, den ich je erlebt
habe. Hundert Möglichkeiten auszuticken, zu übertreiben, herumzualbern
und die Seriosität zu durchbrechen, durchbohren, aufzuspießen, bleiben
ungenutzt. Dieses Buch ist echt [s. Überschrift]!
Patrick Bonato:
„Das bunte Buch verhaltensgestörter Tiere“
Luftschacht Verlag 2012
56 Seiten, Euro 23,40
ISBN 978-3902373977
Der Rezensent ist u.a. Schriftsteller und Künstler.
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Achterbahn
Fabienne Eggelhöfer
(Hg.):
Lust und Laster.
Die 7 Todsünden von Dürer bis Nauman
Von Eva Burghausen
Die sieben Todsünden haben bei jungen
Kreativen eine kleine Konjunktur. Sessions mit Lesungen dazu sind witzig
und cool, weil sie das Thema nicht ernst nehmen. Das funktioniert nur
aufgrund des Verzichts von Hintergrundwissen. Die mittelalterliche
Vorstellung vom „mala mors“, vom schlimmen Tod und den Qualen im
Jenseits ist die Voraussetzung, um die Todsünden als solche zu meiden.
Heute sind sie eine zufällige Zahl, herausgefischt aus dem Meer an
blöden Eigenschaften, mit denen man aber doch prächtig durchkommt. So
richtig annähern kann man sich diesen Lastern nur, wenn man sich
ausmalt, sie rückten durch den engeren Bekanntenkreis an einen heran.
Hochmut, Neid, Zorn, Trägheit, Geiz, Völlerei und Wollust – der Versuch,
diese Begriffe für sich zu modernisieren, führt doch wieder zu einem
angewiderten Abwenden. Freunde sollen so nicht sein.
Plötzlich ist also das Thema voll da.
„Lust und Laster“, zu einer Ausstellung in Bern erschienen, setzt es im
Einführungstext in einen historischen Kontext und transferiert es
intellektuell in die Gegenwart durch den Begriff „sozialer Schaden“, den
bestimmte Verhaltensweisen anrichten würden. Was Sünden sind, weshalb
sie es sind, das wollen Menschen als Leitfaden wissen, zu jeder Zeit.
Der Beitrag „Die sieben Todsünden: Von der frühmonastischen Psychologie
zur hochmittelalterlichen Volkstheologie“ (Barbara Müller), hochgelehrt
und dennoch als Überblick gehalten. Da werden die Anfangsgründe
geschildert, wie sie –wenig bekannt- der Mönch Euagrios im 4.
Jahrhundert legte. Papst Gregors Lastenkatalog, ungleich berühmter, gab
den Klerikern einen „psychologisch fundierten Kommunikationsleitfaden“
in die Hand. Dass die Todsünden leicht in Mode sind, merkt man dem
Beitrag, der sich mit deren moderner Ausformung beschäftigt (Gerhard
Schulze) an, der die typischen Melange anmixt: Die Freiheit des Menschen
gegen Kirche und Staat ist die Freiheit vor der Angst vor den Todsünden,
Freiheit definiert als Hedonismus und Wohlstand, den nun –siehe Twin
Towers – kulturell Zurückgebliebene uns wieder nehmen wollen. Doch
Eigenheim und Karibikurlaub wollen ja alle haben; allein das beweist,
wie gut der Traum vom schönen Leben ist. Der Autor und die anderen
Sonnenbänkler ängstigen sich bei antikapitalistischen Umtrieben und
karikieren den Freiheitsbegriff. Um sie herum gibt es Menschen, die
ernsthaft um Freiheit kämpfen und dafür einen hohen Preis zahlen. Gerade
Künstler sind natürlich darunter, und darum tut so ein Beitrag in
ausgerechnet diesem Buch weh. Die Herausgeber scheinen sich dabei
wahrhaft modern gegeben haben zu wollen, denn die Gedanken des Beitrags
sind dermaßen berlinerszenemäßig, dass man sich gleich wieder beruhigen
kann. Überlebt sich.
Komplexer und schlüssiger wird es, als es
in Richtung Kunst geht: „Die Kunst der Sünde: Die Wüste, der Teufel, der
Maler, die Frau, die Imagination“ (Christine Göttler, Anette Schaffer).
Historische und technische Entwicklung – zum Beispiel der Beginn der
Geldwirtschaft und die daraus resultierende Neugewichtung der Todsünden
in Bezug auf Mammon – setzen die Autorinnen in Zusammenhang zur
künstlerischen Darstellung durch die Jahrhunderte. Das Ausschweifende
und die Diesseitsfreude sind Charakteristika, die der Betrachter
Künstlern quasi automatisch zuschreibt, und durch diesen Beitrag kann
man den Weg gehen, das ernsthaft-abgründig Sündhafte ohne Verklärung zu
erkennen.
Der reiche Bildteil ist nun intellektuell
vorbereitet, sie werden nun jeweils noch kenntnisreich eingeleitet.
Zunächst Zyklen, vom Mittelalter bis heute (Samuel Vitali). Die
althergebrachten Abbildungen sind eine Quellensammlung, mit der man sich
lange und mit Lupe beschäftigen kann. Erste Wahl! Mit Kubins Todsünden
holen sich die Todsünden mit Brachialgewalt ihre Aufmerksamkeit, mit
denen von Bruce Nauman das Stutzen ob der Frage, wo wir heute stehen.
Sieben Kapitel liegen nun noch vor einem,
eine Achterbahn für den, der nun Gefühle zulässt. Sicher und passend ist
die Auswahl bei den alten Meistern, aber je zeitgenössischer es wird,
desto weniger überzeugt oft das Herausgegriffene. Die Sünde wird dann
nur behauptet, die Darstellung ist allenfalls drastisch.
Fabienne Eggelhöfer
(Hg.):
Lust und Laster. Die 7
Todsünden von Dürer bis Nauman
380 S., € 39,80
Hatje Cantz
Verlag 2010
ISBN
978-3775726-4-74
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Künstler sowie Filmemacher
Eine Erweiterung: "David
Lynch"
Von Tobias Hofer
Jeder
kennt ihn als
Filmemacher, und fast jeder weiß auch, dass er von Haus aus Künstler ist.
David Lynch
ist einfach bekannt. Auch viele Interviews, die er als Künstler gibt,
werden in den einschlägigen Wochenendbeilagen publiziert, aber nur, weil er
mit "Twin peaks" und
"Blue Velvet" meisterliche Werke der Qualitätsfilmkunst vorgelegt hat.
Nur deswegen stürzen sich die Magazine auf ihn, weil Filmemacher und
eigentlich Künstler sein, das zieht an. Das Gros der Leser interessiert
die Kunst von Lynch, gelinde gesagt, eher nicht.
Jetzt ist es sehr aufklärend, wirklich mal ein Buch zu seiner Kunst in die Hand zu
bekommen, zu seinen hervorragenden Lithographien. So erschließt sich
einem Lynch stärker. Lithographie ist
ein sehr spannendes technisches Kunstverfahren, und dass Lynch sich
ausgerechnet dem annimmt, passt wieder. Das vertieft das Fansein.
"Lithos" ist ein Buch im Querformat in
schöner Qualität mit ca. 150 seitengroßen Lithographien von
Lynch, die fast ausschließlich in Schwarztusche gehalten sind. Eine
Auswahl, bei der sich einem sofort das ganze Werk darstellt, bei der man sofort merkt,
dass es künstlerisch durchaus ansprechend ist, bei der man durchweg
Lynchs
eigenen Stil erkennen kann. Hier wird nicht
abgekupfert, keiner Strömung Zoll gezahlt wird, das ist wirklich eigen.
Interpretation? Davon entfernt man sich sofort. Die Betrachtung
zählt. Und erst später erwischt man sich aus Versehene bei
Nachsinnereien und Nachdenkereien.
Patrice Forest: David Lynch - Lithos
Hatje Cantz Verlag 2010
(Deutsch, Englisch, Französisch)
192 S., Euro 39,80
ISBN 978-3775726733
Der Rezensent ist freiberuflicher Kunst- und Literaturkritiker.
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